Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht beim Kauf einer Arztpraxis
Der Kauf einer Arztpraxis geht über den bloßen Erwerb von Räumlichkeiten und Ausrüstung hinaus. Eines der wesentlichen Merkmale des Arztberufs ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Das Fundament dieses Vertrauens ist die ärztliche Schweigepflicht, welche sicherstellt, dass persönliche und gesundheitliche Informationen von Patienten vertraulich behandelt werden.
Die ärztliche Schweigepflicht ist eine ethische und rechtliche Verpflichtung, welche sicherstellt, dass Ärzte keine Informationen über ihre Patienten preisgeben, es sei denn, es gibt eine gesetzliche Ausnahmeregelung oder der Patient hat ausdrücklich zugestimmt. Dies gilt nicht nur für direkte Gespräche, sondern auch für schriftliche Aufzeichnungen, digitale Daten und andere Formen von Patienteninformationen.
Beim Kauf einer Arztpraxis geht es nicht nur um die Übernahme von physischen Vermögenswerten. Es wird auch die vorhandene Patientenkartei und -dokumentation übergeben. Die ärztliche Schweigepflicht des Verkäufers gilt dabei auch gegenüber dem Käufer, auch wenn dieser Arzt ist.Die Rechtsprechung behandelt Verstöße gegen diese ärztliche Schweigepflicht streng. Ein Praxiskaufvertrag, der kein Verfahren zur Übergabe der Behandlungsdokumentation regelt, das den rechtlichen Anforderungen genügt, ist nichtig. Dies bedeutet, dass der Vertrag rückabgewickelt werden muss. Ein Verfahren, dass angesichts etwaig rechtskräftig gewordener Entscheidungen des Zulassungsausschusses der KV äußerst misslich und kompliziert wäre.
Für den Kaufvertag ist daher eine vertragliche Regelung zwingend erforderlich, die den Übergang der Behandlungsdokumentation regelt:
Einverständnis der Patienten:
Es ist zwingend notwendig, vor der Einsichtnahme in die zu übernehmende Patientenkartei die Einverständniserklärung der Patienten einzuholen.
Natürlich kann man dazu den Weg gehen, alle Patienten anzuschreiben, um diese auf diesem Wege um die entsprechende Einverständniserklärung zu bitten. Allerdings gibt es bei einem solchen „Rundbrief“ an alle Patienten erfahrungsgemäß nur sehr wenige Antworten, es muss häufig mehrfach erneut gefragt werden. Der organisatorische Aufwand ist – neben der zu investierenden zeit – ganz erheblich.
Ein in der Praxis bewährter Ansatz, um den Schutz der Patientendaten und die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht beim Verkauf einer Arztpraxis zu gewährleisten, ist das „2-Schränke-Modell“ . Dieses Modell wird hierzulande angewendet, um den sensiblen Übergang von Patienteninformationen während des Verkaufsprozesses zu regeln.
Grundprinzip des 2-Schränke-Modells:
Das Modell basiert auf dem Konzept zweier „Schränke“ oder – bei rein digitaler Patientenkartei – Datenspeicher:
a) Alter „Schrank“ (Verkäufer-Schrank):
Dieser Schrank enthält alle Patientenakten bis zum Zeitpunkt des Verkaufs. Der Verkäufer bleibt auch nach dem Verkauf für die darin enthaltenen Daten verantwortlich. Der Käufer nimmt aber diesen Schrank mit den darin enthaltenen Unterlagen in eine unentgeltliche Verwahrung.
b) Neuer „Schrank“ (Käufer-Schrank):
Ab dem Zeitpunkt des Verkaufs werden alle neuen Patientendaten in diesem Schrank gespeichert. Der Käufer ist für diese Daten verantwortlich.
Anwendung des Modells beim Praxisverkauf:
Es wird sichergestellt, dass alte und neue Patientenakten, die nach dem Verkauf etwa bei neuen Patienten erstellt werden, getrennt aufbewahrt werden. Dies schützt sowohl Käufer als auch Verkäufer vor möglichen rechtlichen Problemen, da klar definiert ist, wer für welche Daten verantwortlich ist.
Benötigt der Käufer Informationen aus dem „alten Schrank“ über bisherige Behandlungen der bisherigen Patienten, darf dies nur in Absprache und mit Erlaubnis des betroffenen Patienten geschehen, um die ärztliche Schweigepflicht zu wahren.
Erneut kann hier natürlich die schriftliche Einverständniserklärung der Patienten eingeholt und in der Patientenakte gespeichert werden. Dies ist aber weiterhin mit organisatorischem Aufwand verbunden.
Nimmt aber ein Patient einen Termin bei dem Käufer einer Arztpraxis, mithin bei dem „neuen Arzt“ wahr, ohne der Behandlung zu widersprechen, so liegt hierin eine – grundsätzlich absolut ausreichende – konkludente Zustimmung des Patienten zur Einsichtnahme in die bisherige Behandlungsdokumentation durch den „neuen Arzt“.
Ein konkludentes Einverständnis beschreibt eine stillschweigende oder implizite Zustimmung zu einer Handlung oder einem Vorgehen, die sich nicht aus einer ausdrücklichen Erklärung, sondern aus dem Verhalten oder den Umständen der betroffenen Person ergibt. Im Kontext medizinischer Behandlungen und der Einsichtnahme in Behandlungsdokumentationen bedeutet dies, dass der Patient sein Einverständnis gibt, ohne dies ausdrücklich zu äußern.
Im medizinischen Zusammenhang kann ein konkludentes Einverständnis beispielsweise folgendermaßen auftreten:
- Ein Patient kommt zu einem Folgetermin und bringt ohne Aufforderung seine Medikamentenliste oder frühere medizinische Dokumente mit. Auch wenn er nicht ausdrücklich sagt, dass der Arzt diese Dokumente einsehen darf, kann sein Verhalten (das Mitbringen der Dokumente) als stillschweigendes Einverständnis interpretiert werden.
- Ein Patient wird von einem Arzt zu einem anderen Arzt oder Krankenhaus überwiesen und erscheint zum vereinbarten Termin. Auch wenn er nicht ausdrücklich um die Weitergabe seiner medizinischen Daten gebeten hat, kann sein Erscheinen beim überweisenden Arzt als konkludentes Einverständnis in die Einsichtnahme seiner Behandlungsdokumentation durch den neuen Arzt gedeutet werden.
- Gleiches gilt auch beim Verkauf und Kauf einer Arztpraxis, wenn Patienten zu Terminen bei dem „neuen Arzt“ erscheinen und dort die Behandlung wahrnehmen. Hierin ist die konkludente Zustimmung zur Einsichtnahme in die bisherige Behandlungsdokumentation des „alten Arztes“ zu sehen.
Liegt sodann die (konkludente) Zustimmung des Patienten vor, können die Daten dieses Patienten aus dem „alten Schrank“ in den „neuen Schrank“ übertragen werden (z.B. bei der Fortsetzung einer Behandlung.
Vorteile dieses 2-Schränke-Modells:
- Klarheit: Es gibt eine klare Trennung zwischen alten und neuen Daten, was die Verantwortlichkeiten für beide Parteien vereinfacht.
- Datenschutz: Das Modell gewährleistet, dass Patientendaten geschützt und vertraulich behandelt werden, selbst wenn die Praxis den Besitzer wechselt.
- Flexibilität: Bei Bedarf können Daten mit Zustimmung des Patienten zwischen den „Schränken“ durch den Käufer ausgetauscht werden.
Zusammengefasst bietet das 2-Schränke-Modell einen systematischen Ansatz für den Umgang mit Patientenkarteien beim Verkauf einer Arztpraxis, um die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes sicherzustellen.
- Von Thomas Oedekoven, Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator
DH&K Rechtsanwälte